Unser Dein Sein
2020
Für meine Arbeit «Unser Dein Sein» habe ich einen Monat lang alle Todesanzeigen einer grossen Zürcher Zeitung gesammelt.
Ich analysierte ihre Sprache und Form und erarbeitete eine linguistische Quintessenz der 70 am häufigsten verwendeten Wörter. In meiner Arbeit gibt es neben den 70 Wörtern auch sieben selbst geschriebene Gedichte, die sich aus der sprachlichen Essenz der Nachrufe ableiten. Alle analysierten Todesanzeigen wurden von mir zu handgeschöpftem Papier verarbeitet und ebenfalls ausgestellt.
Der Tod ist ein oft tabuisiertes Thema. In meiner Arbeit gebe ich einen Einblick in das von der Gesellschaft konventionalisierte Trauerritual und die standardisierten Verhaltensmuster, die sie für die Darstellung von Schmerz und Trauer voraussetzt. Mein besonderes Interesse gilt der Kanalisierung und Übertragung von Emotionen durch die Sprache als Methode zur Stabilisierung von Unsicherheiten bei Trauernden. Durch einen Todesfall und seine Veröffentlichung kommt es zu einer sozialen Neupositionierung der Trauernden und zu einer Umstrukturierung der Beziehung der Hinterbliebenen zum Verstorbenen. Diese Neupositionierung wird in meinem Werk durch die Sprache der Trauernden dargestellt, sowohl wörtlich als auch metaphorisch. Die sieben Gedichte stehen für die absolute Kontrolle des sprachlichen Ausdrucks und repräsentieren das Bedürfnis der Trauernden nach Ordnung und Stabilität. Auffallend ist eine ungewöhnliche Direktheit, verbunden mit einer allumfassenden Höflichkeit. Der Stapel selbst geschöpften Papiers hat einen symbolischen, metaphorischen Charakter und soll auch eine Würdigung der Toten und der trauernden Familien sein, deren Sprache und Emotionen ich für das Werk verwendet habe.



